Dissertationsprojekte

Die Sprache des Fluches - aggressive jüdische Magie in der Spätantike

Dissertationsprojekt von Vera Dürrschnabel in Judaistik.

Betreut durch Prof. Dr. René Bloch (Bern) , Prof. Gideon Bohak (Tel-Aviv).

Magische Handlungen waren selbstverständlicher Teil der antiken jüdischen Lebenswelt. Wie auch in anderen antiken Kulturen wurde innerhalb des Judentums versucht, übernatürliche Kräfte zu beeinflussen. Dieses Projekt widmet sich der schadbringenden Magie und setzt sich dabei mit den sprachlichen Relikten der spätantiken jüdischen Fluchkultur auseinander. 

Ziel dieses Projektes ist es, die spätantike jüdische Fluchkultur in ihrer gesamten Komplexität zugänglich zu machen.

In einem ersten Schritt sollen dazu rabbinische Quellen hinsichtlich ihrer Auseinandersetzung mit der Fluchproblematik untersucht werden. In einem zweiten Schritt werden dann die unmittelbaren epigraphischen und papyrologischen Relikte spätantiker jüdischer Flüche untersucht. Hebräische, aramäische und griechische Quellen werden dazu sprachlich detailliert analysiert. Zu Beginn des Projektes werden daher zunächst die relevanten schriftlichen Quellen zusammengestellt: Im Zentrum stehen dabei die aus dem mesopotamischen Raum stammenden meist aramäischsprachigen Zauberschalen (incantation bowls) sowie verschiedene Fragmente aus der Kairoer Geniza.

Anhand der Fluchproblematik kann die spätantike schadbringende jüdische Magie an einem klar abgegrenzten Korpus umfassend zugänglich gemacht werden. Die dabei gewonnen Ergebnisse werden einerseits die Verortung der Fluchproblematik im theologisch-kulturellen Umfeld des spätantiken Judentums ermöglichen. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise anhand eines klar definierten Problembereiches die Interrelation zwischen Magie und Religion, zwischen der normierten Religionsaufassung der gesellschaftlichen Eliten und der alltäglichen Religiosität der Massen dargestellt werden. Nicht nur werden dabei sprachliche Parallelen zwischen den formulae magicae sowie autoritativen liturgischen Texten untersucht werden, sondern auch die Flüche in ihrer Gesamtheit in ihren religionsgeschichtlichen und vor allem judaistischen Hintergrund eingeordnet werden. Andererseits wird dieses Projekt dazu beitragen, die Verortung des spätantiken Judentums innerhalb der mediterranen Welt voranzutreiben, und zwar durch die Kontrastierung der gewonnenen Ergebnisse mit der paganen Fluchkultur der umgebenden paganen griechisch-römischen sowie frühchristlichen Welt.

Disserationsprojekt von Judith Göppinger.

Ziel des Promotionsprojektes ist es, die von Flavius Josephus für seine LeserInnen konstruierten, kollektiven jüdischen «Identität» auf ihre einzelnen Komponenten hin zu analysieren. Besonders der Einfluss römischer Vorstellungen von virtus und exempla auf die josephischen Werke soll untersucht und die Ergebnisse vor dem Kontext der zeitgenössischen politischen und sozialen Ereignisse gedeutet werden. Von zentraler Bedeutung für das Unterfangen ist die Frage nach dem RezipientInnenkreis – Josephus möchte seine LeserInnen ansprechen und so auch deren kulturelle Werte und Normen für seine «Identitätskonstruktion» berücksichtigen.

Die Arbeit geht von einem hauptsächlich römischen LeserInnenkreis aus, weshalb ein Blick auf römische Diskurse, die das Wesen oder die «Identität» der RömerInnen thematisieren, zwingend notwendig ist. Mit den Werken Ciceros, besonders aber seit Augustus, etablierten sich neue Bedeutungen und Deutungen von virtus, die gezielt zur Darstellung des römischen Kollektivs genutzt wurde; Tugendhaftigkeit wurde zu einem entscheidenden Wesensmerkmal römischer «Identität». Hat Josephus dieses Konzept von Tugendhaftigkeit übernommen, also auf seine Darstellung jüdischer HeldInnen übertragen? Wandelt er das römische Konzept um und verknüpft es mit jüdischen (religiösen) Vorstellungen von Tugendhaftigkeit, um eine eigene «Identität» für die JüdInnen zu schaffen? Oder hält er sich strikt an die in jüdischen Texten enthaltenen Vorstellungen von Tugend und «Identität»?

Im Zentrum der Untersuchung werden die beiden letzten Werke, die Antiquitates und Contra Apionem stehen. Die Untersuchung der Werke wird von folgenden Fragen geleitet: Welcher Eindruck vom Judentum soll entstehen? Was macht das Kollektiv der JüdInnen aus, welche Eigenschaften besitzt es, welche historischen Ereignisse prägen es? Diese Faktoren dienen Josephus als Bausteine für eine jüdische «Identität», die vermittelt werden soll. Exemplarisch zeigen sich die kollektiven und identitätskonstruierenden Eigenschaften an den großen Männern und Frauen der jüdischen Geschichte. Durch eine gezielte Analyse der Personenbeschreibungen – mit besonderem Fokus auf die den römischen Wertediskurs bestimmenden Tugenden – soll ein Muster entwickelt werden, das zwar dem jeweiligen Individuum zugeschrieben wird, aber eigentlich eine exemplarische Darstellung der JüdInnen ist. Dabei sollen die vier sogenannten «Kardinaltugenden» (virtus, iustitia, clementia, pietas) besonders in den Blick genommen werden.

Ganz ähnlich kann auch Contra Apionem gelesen werden, das sich hauptsächlich mit den Angriffen und üblen Verleumdungen auf die JüdInnen auseinandersetzt.  Josephus machte es sich zum Ziel, diese Angriffe abzuwehren und richtigzustellen: die JüdInnen haben eine lange und damit ehrwürdige Geschichte, einen hervorragenden Gesetzgeber und somit auch eine ausgezeichnete Verfassung. In der josephischen Darstellung der Gesetze wie des Gesetzgebers, vor allem aber der Gesetzestreue zeigen sich ganz besondere Eigenschaften, die den JüdInnen zugeschrieben werden sollen. Tauchen die vier sogenannten Kardinaltugenden wieder auf? Haben sie damit wie die exempla normierende Kraft, was die kollektive «Identität» der JüdInnen betrifft?

Einen zentralen Platz in meiner Argumentation sollen Ant. 1,6 sowie c.Ap. 2,204 einnehmen.  Josephus verknüpft, so die These, seine Darstellungen der jüdischen Geschichte und Gesetze geschickt mit den römischen Konzepten des mos maiorum beziehungsweise der exempla. Nicht nur die Kenntnis der herausragenden Taten der Vorfahren seitens aller JüdInnen spielt eine Rolle, Josephus ruft explizit zur Nachahmung auf, wie das auch die römischen Autoren bezüglich ihrer exempla tun. Josephus konstruiert jüdische Identität demnach bewusst anschlussfähig an römische Vorstellungen und Diskurse. Dies könnte mehr Ausdruck eines Selbstverständnisses sein, dass das Judentum – also die Gesamtheit aller JüdInnen – und das Römische Reich mindestens kompatibel sind, wenn nicht sogar auf Augenhöhe stehen.

Saʿadyah Gaons ethisches Denken. Zwischen sinnlicher Erfahrung und prophetischer Weisheit.

Dissertationsprojekt von Almuth Lahmann in Islamwissenschaft.

Betreut durch Prof. Dr. Anke von Kügelgen (Erstbetreuerin, Bern) und Prof. Dr. René Bloch (Zweitbetreuung)

Bagdad war in der ersten Hälfte des 10. Jh. die Herrschaftsmetropole des zerfallenden abbasidischen Kalifats, Schmelztiegel ethnischer Vielfalt und Zentrum religiöser und weltlicher Wissenschaft. Mit einer Vielzahl von Vorstellungen einer guten Lebensführung und den daran anschliessenden Fragen zur Erkenntnis und Begründbarkeit bestimmten Udabāʾ (Literaten), Fuqahāʾ (Rechtsgelehrte), Mutakallimūn (Theologen) und Falāsifa (Philosophen) den zeitgenössischen sittlichen, theologischen und moralphilosophischen Diskurs. Mein Dissertationsprojekt untersucht das ethische Denken Saʿadyah Gaons (882-942) als einer Stimme in diesem polyphonen Orchester.

Während die Forschung bisher das moralphilosophische Denken dieser Zeit mehrheitlich unter (neu-)platonischen Gesichtspunkten interpretierte, indizieren neuere Forschungsarbeiten, eine arabische Rezeption der aristotelischen Ethik ebenfalls zu berücksichtigen. An diese Forschung schliesst die meinem Dissertationsprojekt zugrundeliegende Hypothese an: Saʿadyah Gaons ethisches Denken beruht mehrheitlich, wenn auch nicht ausschliesslich, auf Prinzipien und Konzepten aristotelischer Ethik. Mit diesem neuen Fokus lassen sich in seinen Schriften prägnante Textstellen finden, die nicht nur Ideen, sondern insbesondere die Terminologie der aristotelischen Ethik verwenden wie folgende Beispiele illustrieren: aṭ-ṭabīʿa aṯ-ṯānīya (die zweite Natur), ʿāda (Gewohnheit, Brauch), taʿawwud (Gewöhnung) und tawassuṭ (mesotēs).

Die Schlüsselquelle ist der wenig erforschte Text Kitāb ṭalab al-ḥikma (Buch der Suche nach Weisheit). Er beinhaltet Saʿadyah Gaons arabische Übersetzung des biblischen Buches Mishlei (hebr.; arab.: amṯāl, Beispiele u.a.) und seinen Kommentar dazu. In diesem Kommentar formulierte er - gemäss unserem heutigen Sprachverständnis - Grundsätze einer allgemeinen und einer spezifischen Ethik. Er verortet diese, dem zeitgenössischen wissenschaftlichen Horizont folgend, innerhalb der Kommentarliteratur seiner Tradition. Denn das rechte und gute Handeln des Menschen im Allgemeinen und der Mitglieder der eigenen Glaubensgemeinschaft im Besonderen wird nicht alleine mittels individueller Rationalität erschlossen; es bedarf der autoritativen Dechiffrierung von Texten aus der eigenen Tradition, die - mehrheitlich allgemeine - Maxime beinhalten, so Saʿadyah Gaon. Ein genaues Lesen dieses vielschichtigen Textes eröffnet Anknüpfungspunkte an diverse literarische Kontexte (adab - moralbildende Literatur, tafsīr - Kommentar und Übersetzung tradierter Schriften, ḥadīṯ - Prophetenbericht u.a). Damit wird eine Rekonstruktion der Wissensfelder (ṭibb - Medizin, naḥw - Grammatik, fiqh - Rechtslehre, falsafa – Philosophie, siyāsa - Politik u.a.) möglich, aus denen der Autor für die Formulierung seiner ethischen Überlegungen schöpft. 

Um die logische und methodische Stringenz und die Kohärenz seiner ethischen Positionen zu prüfen, wird Saʿadyah Gaons religionsphilosophische Schrift Kitāb al-Amānāt wa-l-Iʿtiqādāt (Buch der Glaubensdoktrinen und Überzeugungen) hinzugezogen. Die aristotelischen Begriffe werden hier häufiger über die Spezifika der Ethik hinaus angewendet. Beispielhaft sei die mehrfache Verwendung der kategorialen Aussageformen waqt (Zeit) und waḍʿ (Position) genannt. Damit integriert Saʿadyah Gaon, so die mögliche Lesart, ethische Positionen auch in den Entwurf seiner Kosmologie.

Das Forschungsprojekt schliesst sich, mit dem Zugeständnis eines beschränkten, jedoch sich verdichtenden Verständnisses, dem hermeneutischen Ansatz von Paul Ricœur an. Der Beitrag beabsichtigt eine erweiterte Rezeption Saʿadyah Gaons ethischer Texte. Ihre Kontextualisierung, im Rahmen des literarischen und wissenschaftlichen Diskurses im Bagdad des 10. Jahrhunderts, soll Saʿadyah Gaons Positionen heutigen Forschungsfragen und -interessen v.a. aus den Disziplinen der Philosophie, Islamwissenschaft und Judaistik zugänglich machen und zur Diskussion stellen.

Coinage Imagery in Late Persian Period Samaria (4th cent. BCE)

Dissertationsprojekt von Patrick Wyssmann in Judaistik

Betreut durch Prof. Dr. René Bloch (Leitung) , Prof. Dr. Axel Knauf (Bern) , Prof. Dr. Christoph Uehlinger (Zürich).

Most of the history of the province of Samaria and its inhabitants during the last decades of the Persian period (4th century BCE) lies in the dark. The written sources are largely silent and the archaeological evidence is scanty. However, there are two kinds of artifacts, coinage and glyptics, which help lightening up the picture. Samarian coins, seals and sealings (mainly found at Wadi ed-Daliyeh) provide manifold insights into the province's state of affairs.

The focus of this project lies on the iconography of the coins. After a critical survey of the material and its chronological context, the project will categorize the motifs and deal with questions of their ultimate origin (Greece, Cilicia, Persia, Phoenicia, or local), style, motif selection, possibilities of combination (especially on coins) and particular local developments. This iconographic analysis will be set into the context of ancient Near Eastern and Greek pictorial traditions, and ask whether Samarian coinage can in any way inform us on possible ideological preferences or constraints related to the cultural and religio-historical context.

In view of the obvious Greek influence on Samarian coinage imagery, the interactions between eastern and western symbol systems are of special interest. They have to be interpreted carefully and will lead to the difficult question of a pre-Alexandrian Hellenization of parts of the Samarian society. The systematic examination and interpretation of coinage imagery will be summed up in a concluding presentation of the main iconographic themes. The goal of the study is to shed some new light on the province of Samaria and its inhabitants on the eve of what is generally understood as the 'Hellenistic period'.

Die Religionspraxis der jüdischen Frau im Spannungsfeld zwischen Halacha und sozialer Konvention

Dissertationsprojekt von Valérie Rhein in Judaistik.

Betreut durch Prof. Dr. René Bloch (Leitung) , Prof. Dr. Silvia Schroer (Bern)

 Die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der in der rabbinischen Literatur überlieferten Meinungen bergen angesichts veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen Möglichkeiten einer Reinterpretation der Halacha (jüdisches Recht) sowie Anpassungen an Praxis und Traditionen. Was bedeutet das für die Frau im Judentum? Anhand von Beispielen soll die Religionspraxis der jüdischen Frau aus halachischer und gesellschaftlicher Perspektive betrachtet werden: Worauf basieren die von ihr gelebten Gebote und Rituale und welche Einflüsse sind für deren Entwicklungen massgeblich?

In fünf Artikeln sollen die Halacha, die Argumentationen rabbinischer Autoritäten, gesellschaftliche Veränderungen sowie die Religionspraxis der Frau einander gegenübergestellt werden. Untersucht werden fünf Gebote und Rituale und deren Bedeutung für die Frau: Talmud Tora (das Studieren der Tora und der rabbinischen Literatur), Kriat haTora und Alija laTora (Lesung aus der Tora und Aufruf zur Tora), Kiddusch (Segenssprüche über Wein an Schabbat und Feiertagen), Feiern anlässlich der Bat-Mizwa (Beginn der religiösen Mündigkeit 12-jähriger Mädchen) und Minjan (das für einen jüdischen Gottesdienst benötigte Quorum).

Im Zentrum der Betrachtungen steht das orthodoxe Judentum, an dessen Grundsätzen sich die überwiegende Mehrheit der jüdischen Gemeinden in der Schweiz orientiert. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem späten 20. und frühen 21. Jahrhundert; zudem werden die halachischen Grundlagen und historischen Entwicklungen seit tannaitischer Zeit skizziert. Für die Gegenwart richtet sich der Blick geografisch stark auf die USA und Israel, weil sich wandelnde jüdische Traditionen seit der Schoa in der Regel zuerst in diesen beiden grossen jüdischen Zentren manifestieren.

Truth-claims in ancient Greek and Hebrew narrative histories: a comparative study of the Hebrew Bible and Herodotus' Histories

Dissertationsprojekt von Eva Tyrell in Judaistik.

Betreut im Rahmen einer Cotutelle de thèse durch Prof. Dr. René Bloch und Prof. Dr. Jonathan Price, Tel Aviv University.

Das vergleichend angelegte Projekt liest antike Geschichtsschreibung als Kommunikation zwischen Erzähler und implizitem Leser. Es analysiert explizite und implizite Wahrheitsansprüche (bzw. Beglaubigungsstrategien) der beiden Werke innerhalb ihres je eigenen kulturellen und literarischen Zusammenhangs - historische Wahrheit wird also nicht automatisch als Übereinstimmung mit den tatsächlichen historischen Gegebenheiten definiert. Mein Ziel ist u.a., die meist impliziten Vorstellungen von Erkenntnis und Wissen in den Geschichtserzählungen zu untersuchen. Ob der Erzähler Beweismaterial begutachtet und verwendet oder nicht, inwieweit seine Interpretationen auf Schlüssen, plaubilen Mutmassungen und Phantasie beruhen, sowie die Art der Leserlenkung können als Anzeichen ausgewertet werden um zu klären, inwieweit die Darstellungen einerseits politischen und sozialen Bedürfnissen entsprechen und andererseits Geschichtsschreibung als gelehrte Untersuchung und Weitergabe von Wissen betreiben.

 

"Philon als Philologe: Philons Umgang mit der Septuaginta und die Frage der Hebräisch-Kenntnisse

Dissertationsprojekt von Maria Sokolskaya in Judaistik.

Das Dissertationsprojekt will einen Beitrag zur aktuellen Forschungsfrage um die Interdependenzen zwischen Palästina und der jüdischen Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit leisten.

Philons Diskussion der Septuaginta-Übersetzung in der Vita Mosis (2,25-44) und die Frage, ob Philon hebräische Quellen zugänglich waren, stehen mithin im Zentrum der Arbeit.

Die Konzeption des Bösen bei Philon von Alexandrien

Dissertationsprojekt von Monika Kneubühler in Judaistik.

Das Projekt untersucht die Idee des Bösen bei Philon und kontextualisiert seine Deutungen dieses in der antiken Philosophie intensiv diskutierten Problems in der weiteren jüdischen und paganen Philosophie.